Amtliche Meldung

“Dorfladen für Tüwkow!?” – Kurzgeschichte Teil 4

Folge Vier

Der Dorfladen Tüwkow e.V. ist gegründet und der Mietvertrag für den alten Konsum ist unterschrieben. Alle sind stolz auf das Erreichte und in Feierlaune. Am nächsten Tag erscheint ein Statiker mit der Aussage, das Gebäude sei einsturzgefährdet.
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Natürlich haben wir den Laden, unseren Laden, gleich verlassen und ich habe sorgfältig abgesperrt. Dieser Dr. Rommke mit seiner roten Aktenmappe stand etwas ratlos herum, nachdem er seine Botschaft losgeworden war. Ich streckte die Hand aus. Rommke schüttelte den Kopf. „Ich kann Ihnen die Unterlagen nicht hierlassen“. Er wollte sich schon umdrehen und gehen, aber Jan versperrte ihm den Weg und ich nahm die Mappe an mich. „Das werden wir wohl noch brauchen.“ Da ist er ohne seine Mappe abgezogen.
Ich konnte kaum noch geradeaus denken. Hatte ich gerade einen Mietvertrag für ein unbrauchbares Gebäude unterschrieben und unseren Verein schon ruiniert, bevor wir das erste Regal aufgestellt hatten?

Auf Jans Vorschlag haben wir erstmal einen Kaffee bei ihm getrunken. Rituale beruhigen immer. Dann riefen wir Gunnar an, einen befreundeten Metallbauer, der regelmäßig mit Statik zu tun hat. Der hat die Panik aus Jans Stimme herausgehört und kam am gleichen Abend vorbei. Das war ein langer Tag des Wartens für uns. Gunnar bekam ein alkoholfreies Bier, er musste ja noch fahren, und die rote Aktenmappe. Nach fünf Minuten war er durch die Mappe durch und sein Bier war halb leer. Ich hatte einen Kloß im Hals. Er blickte auf. „Der verarscht euch.“
„Was? Wie?“
„Diese Statik hier“, er schob die Mappe in die Mitte des Tisches, „passt vielleicht auf Bismarcks Hundehütte, aber nicht auf ein Haus Baujahr 1928 mit Feldstein-Fundament und Betonfußboden. Hier auf dem Papier werden ein Holzständerwerk und ein Holzfußboden angenommen, die mindestens fünfzig Jahre älter sind als euer Gebäude, und aus einem völlig untauglichen und zu dünnen Holz, soweit ich das sagen kann. Den Kerl habt ihr hoffentlich aus dem Dorf gejagt.“ Jan und ich sahen uns an. „Wo kam der eigentlich her?“ Das wusste keiner von uns so recht. Von uns war der auf jeden Fall nicht beauftragt worden. „Ihr könnt euch ja sicherheitshalber noch einen Statiker kommen lassen, oder das mit einem Architekten durchgehen, ich bin ja auch kein Fachmann. Aber das hier“, er zeigte auf die rote Mappe, „ist Humbug.“
Nein, ein zweites Bier wollte er nicht, er musste dann wieder los. Diese Nacht habe ich dann besser geschlafen.

Der Architekt, der uns über die Schulter sah und die wichtigsten Fragen begleitete, hatte dann ein paar Tage später keine Bedenken zu dem Gebäude. Gar keine. Er fand es im Gegenteil sehr solide und über die rote Mappe hat er nur geschmunzelt. Später hat sich dann herausgestellt, dass dieser Herr Dr. Rommke von dem ehemaligen Kaufinteressenten für den Konsum losgeschickt wurde, um uns aus der Bahn zu werfen. Von diesem Jansen, der den Konsum hatte kaufen und abreißen wollen. Jansen wollte nach unserem erzwungenen Rückzug als Retter in der Not zum Bürgermeister und ein neues Angebot abgeben. Der Bürgermeister sagte uns nur, dieser Jansen hätte jeden Kontakt abgebrochen und sei nicht zu erreichen.

Nach ein paar Wochen erkannte man den alten Konsum nicht wieder. Unser Laden hatte zwar leer ausgesehen, aber wir haben zwei Container voll Schutt und Müll rausgeräumt. Bei mir stapelten sich Rechnungen für Heizung, Wasser, Verkabelung, Lampen und eine Kühltheke und immer wieder musste ich für den Verein neue Bestellungen und Aufträge unterschreiben. Wandverkleidung, Fußböden, neue Fliesen, zehn Eimer Farbe und genug Abdeckfolie für ein ganzes Fußballfeld. Wir haben die Arbeitsstunden, die abends und an den Wochenenden geleistet wurden, gar nicht gezählt.
Siggi Hohner, der arbeitslose Schreiner und Ladenbauer, war Kopf und Motor unseres Umbaus. Ohne ihn ging nichts, die anderen arbeiteten immer in seinem Windschatten. Er war der Einzige mit Erfahrung und dirigierte auch die externen Handwerker, die wir ab und zu brauchten. An Elektro wollte sich zum Beispiel keiner ran wagen.

Der Bürgermeister, dessen guten Ruf wir gerettet hatten, präsentierte uns zwischendurch mit breitem Grinsen einen Bewilligungsbescheid über fünfzigtausend Euro Fördermittel, die er beim Land für seinen Laden, wie er sagte, herausgehandelt hatte. Ich hätte den alten Kerl küssen können!  Franzi hat es spontan gemacht und dann waren sie beide rot im Gesicht. Mit dem Bescheid war auch die Sparkasse zufrieden, weil wir ja dick in den Miesen standen.

Die drei Rentner, die täglich kamen, waren die größte Stütze. Stetig und unaufgeregt arbeiteten sie den Einsatzplan ab, der aus vielen A4-Seiten zusammengeklebt an der Wand hing und von Siggi jeden Morgen aktualisiert wurde. Einer aus dem Dorf kannte sich aus mit Webseiten und wir hatten unsere Internet-Präsenz, noch bevor die erste Wand gestrichen war und das erste Regal stand. Ich hätte mir stattdessen lieber ein paar Quadratmeter Fußboden gewünscht, aber die anderen überzeugten mich, dass Werbung von Anfang an auch wichtig sei.
Unter den vielen Unterschriften war auch eine Unfallversicherung. Das zahlte sich an dem Tag aus, an dem Jan in der Eile ein Brett falsch hielt, mit der flachen Hand von der Rückseite gegendrückte und sich schneidig mit dem 10er Holzbohrer die Hand durchlochte. Heute zeigt er regelmäßig die beiden erbsengroßen Narben und lacht dabei. Und Monika Makisch, unsere MM, sie konnte mit ihren zweiundsiebzig Jahren virtuos mit der Lackrolle umgehen, verdrehte sich bei einem Sturz das Knie. Wir sahen dem Rettungswagen hinterher und hatten ein schlechtes Gewissen. Am nächsten Tag kam sie wieder, mit einer Schiene am Bein humpelte sie auf die Baustelle, und hat im Sitzen weitergemacht „und wenn ich nur Brötchen schmiere und Kaffee koche“ und wir hatten Tränen in den Augen.

Dann stand Siggi vor mir und wusste nicht, wohin mit seinen Händen. „Du, Mike.“
„Ja?“
„Ich kann nicht mehr mitmachen. Habe einen neuen Job. Ab Montag. Kann nur noch am Wochenende. Wenn kein Fußball ist.“ Ich musste nicht auf den Kalender schauen. In drei Wochen kam der Brotwagen zum letzten Mal nach Tüwkow.

…wie es weiter geht, erfahren Sie nächsten Freitag!

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