Amtliche Meldung

Kurzgeschichte Teil 1: „Der Finger von Tüwkow“

Folge Eins

Hinter uns knackte etwas in der Dunkelheit. Ich zuckte zusammen doch Jan legte mir beruhigend die Hand auf den Arm.
Damwild“, flüsterte er. „Heute nicht.“
Er hatte recht, wir saßen auf Sauen. Seit dem ersten Auftreten der Afrikanischen Schweinepest war Sauenjagd die erste Jägerpflicht.

Endlich hatte wir Zeit für einen gemeinsamen Ansitz gefunden. Der große Sturm der letzten Tage war abgezogen, der Waldboden hatte den Regen wie ein Schwamm aufgenommen und im hellen Mondlicht konnten wir die Kirrung gut einsehen. Nur Anblick hatten wir noch nicht gehabt.

Zuerst war ich ziemlich müde gewesen nach einer Arbeitswoche in der Praxis, in der ich als Physiotherapeut arbeite, aber die Dunkelheit schärfte die Sinne und ich wartete drauf, dass Jan zum Schuss kommen würde. Es war schon kurz vor Elf, bald würden wir abbrechen und bei Jan einen Absacker nehmen, sobald er die Waffe eingeschlossen hatte. Morgen würde ich dann erstmal ausschlafen, bevor um Zehn meine Schicht in unserem Dorf-Konsum begann, den wir in Eigenregie führten.

Einen Jagdschein habe ich selber nicht, Jan hatte seine Bockbüchse über den Oberschenkeln liegen und ich hielt das Nachtglas. Der Wald war unruhig, es raschelte und knackte, wir hörten Wild laufen und konnten nicht sagen, aus welcher Richtung das kam. Vielleicht waren die Schwarzkittel nach dem Sturm noch besonders vorsichtig. Andererseits hatten wir bestes Schweinewetter.

Jan stieß mich mit dem Ellenbogen an und hob langsam die freie Hand. Auch ich hatte den Geruch nach Maggi bemerkt, den der Wind zu uns drückte. Da war ein Keiler im Anmarsch. Jetzt bloß keine plötzlichen Bewegungen, auch im Dunkeln nicht. Tatsächlich schob sich aus der Dickung ein unförmiger Schatten auf die kleine Lichtung, in deren Mitte die Kirrung stand. Ich hob in Zeitlupe das Nachtglas. „Keiler“, flüsterte ich.

Im Restlichtverstärker war zu erkennen, dass der Basse nicht gleichmäßig lief, er schien einen Hinterlauf nachzuziehen. Ich reichte Jan langsam das Glas, er sprach das Stück sorgfältig an, gab mir das Glas zurück und hob ohne Eile seine Büchse. Ohne ein Geräusch zu machen legte er den Schaft auf die Brüstung unserer Kanzel und visierte das Stück an. Der Knall des Schusses peitschte durch die dunklen Bäume und fünf Sekunden lang war ringsum nur Schreck, Durcheinander und Flucht. Dann wurde es wieder ruhig.

Jan war nicht zufrieden. „Schlecht abgekommen.“ Ich hatte den Bassen beim Schuss mit dem Glas beobachtet. „Getroffen hast du, habe deutlich den Einschlag gesehen.“ Aber die Lichtung war leer, der angeschossene Keiler war flüchtig. Wir hatten eine Nachsuche vor uns. Das war in Dunkelheit mit einem angeschossenen und kranken Tier echt gefährlich. Vorne getroffen und ein kranker Hinterlauf. Der kann nicht weit kommen.“

Wir warteten noch ein paar Minuten, dann sicherte Jan die Büchse, damit wir abbaumen konnten. Unten entsicherte er wieder und lud nach. „Mike, du bleibst hinter mir. Wir gehen nicht weit. Wenn wir ihn nicht finden, dann komme ich morgen mit dem Hundeführer wieder.“ Ich nickte, auch wenn Jan das kaum sehen konnte.

An der Anschußstelle fand Jan im Schein seiner Kopflampe erste Schweißspuren und deutliche Schalenabdrücke des flüchtigen Tieres. Nur fünfzehn Meter entfernt lag der Keiler, er hatte es nicht mehr geschafft, in die Dickung einzuschieben. Wir nahmen die Hüte ab und ich beglückwünschte Jan zum Jagderfolg. Dann kniete er nieder, um sich den Hinterlauf anzusehen. „Eine alte Wunde, schlecht verheilt, der Knochen ist anscheinend gebrochen. Bei dem Licht schlecht zu sagen.“ Dann stutzte er. „Ey, was ist das?“

Im weißen Licht der LED-Lampe sahen wir mattschwarzes Plastik aus der Erde ragen, es war groß und rechteckig mit einem grünen Drehverschluss. Hat hier jemand sein Altöl hingeworfen? Sauerei!“ Jan verstand da keinen Spaß. Ich zog den Kanister aus dem Boden, er war leichter als erwartet. „Nee, Öl ist da nicht drin. Überhaupt keine Flüssigkeit. Hör mal, das raschelt.“ Ich schüttelte den Kanister.

Für einen Augenblick war der Keiler vergessen. Ich stellte den Kanister ab und drehte den Verschluss auf. Eine Papierecke ragte heraus. „Mike, das ist Geld!“ Vorsichtig zog ich einen Geldschein aus dem Kanister. Es waren hundert Euro. Der Behälter war so vollgestopft, dass ich gleich einen zweiten und dritten mit hinaus zog. Nach kurzer Zeit lag ein Haufen Geldscheine vor uns auf dem Waldboden. An den meisten Scheinen haftete rotes Pulver und viele Scheine hatten Flecken wie von getrocknetem Blut.

Da ist noch mehr drin, da klappert etwas. Dreh das Ding mal um.“ Etwas Goldenes fiel aus der Öffnung und landete zwischen Jans Jagdstiefeln. „Das sind Broschen! Eine Kette!“ Zuletzt rutschte ein schmaler goldener Ring, wie ein Ehering, heraus. Ich bewegte den Kanister weiter, denn noch raschelte etwas zwischen den letzten Geldscheinen und klopfte beim Schütteln an die Innenwand.

In den Haufen Geldscheine vor unseren Füßen fiel ein abgetrennter Finger.

… wie es weiter geht, erfahren Sie morgen!

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