Amtliche Meldung

Kurzgeschichte Teil 4: “Der Finger von Tüwkow”

Folge Vier
Die Spur des abgetrennten Fingers und des Schmucks aus dem vergrabenen
Benzinkanister führt Mike, Jan und Polizeihauptmeister Schutkow in ein kleines Haus am Waldrand von Tüwkow.
____________________________________________________________________________________

„Sie haben keine Spuren eines Einbruchs bemerkt? An Türen oder an Fenstern?“
Monika schüttelte energisch den Kopf. „Ganz bestimmt nicht.“
„Aber die Hintertür steht doch meistens offen, oder?“
„Natürlich. Das war hier schon immer so.“
Schutkow rollte mit den Augen. „Dann haben wir ja nicht mal Einbruch, sondern nur unbefugtes Betreten. Die Schublade muss ich mitnehmen, das ist Beweismaterial.“ Er seufzte. „Ich brauche nachher eine Liste der Sachen die fehlen. Möglichst genau. Haben Sie vielleicht Fotos von dem Schmuck?“
„Von dem alten Kram? Nein. Das meiste hat Karl mir geschenkt, aber wir hatten nie viel Geld übrig, daher ist das nicht viel wert. Ein oder zwei Broschen vielleicht, von meiner Mutter noch.“
„So genau wie möglich eben. Wir sehen uns draußen mal um.“
Auch jetzt war die Hintertür nicht abgeschlossen. Wir traten hinaus und sahen am Ende des großen Gartens eine Garage, direkt am Waldrand. Wind blies uns entgegen, das waren die Reste des Sturms.
„Wenn der Fingerabdruck vom Einbrecher ist, war er dann vor dem Betreten des
Hauses schon verletzt? Er wird ja kaum mit einem frisch abgetrennten Finger nach Beute gesucht haben. Das hält keiner aus.“
Schutkow zuckte mit den Schultern. „Vielleicht war er high, nur ein Junkie auf der
Suche nach ein paar schnellen Euros.“
„Hier in Tüwkow? Hier gibt es weder Junkies noch einen schnellen Euro.“ Ich musste mir ein Grinsen verkneifen.
„Fußspuren gibt es wohl nicht mehr, darauf müssen wir keine Rücksicht nehmen.“ Er stapfte durch den Garten in Richtung Waldrand.
Die Garage hatte ein Dach aus Wellblech, war gemauert und verputzt und so alt, dass der Putz fast schwarz war. Das Fenster an der Seitenwand war blind, eins der vier Glasteile fehlte. Das Garagentor hatte zwei Flügel aus rissigem Holz, das von rostigem Metall eingefasst war.
Ein Viertelkreis vor dem rechten Torflügel zeigte, dass er kürzlich geöffnet worden
war.
„Wann waren Sie das letzte Mal hier drin?“
Auf seine Frage konnte sie sofort antworten. „Vor Weihnachten. Ich hatte Streusalz gesucht, für die Stufen an der Haustür. Aber da war keins mehr. Na, Sand hat’s auch getan.“
Schutkow zeigte auf den Boden. „Die Tür ist vor wenigen Tagen geöffnet worden. Gab es ein Schloß?“
Monika sah den aufgebrochenen Riegel. „Ach du meine Güte.“
Vorsichtig zog ich den Türflügel auf, der Viertelkreis auf dem Boden wurde tiefer. Um den Türrahmen tastend versuchte ich, einen Lichtschalter zu finden. „Monika, wo ist… Au!“
Blut lief über meine Handfläche. „Mist!“
„Musst aufpassen, Mike“, sagte Monika von hinten. „Da am Rost sind scharfe Kanten.“
Sie sah das Blut, das aus meinem Handballen tropfte. „Warte, ich hole dir was zum
Verbinden.“
Sie ging ins Haus und Schutkow schob sich an mir vorbei in die Garage. Er fand den Lichtschalter und sah sich dann die Kante der Tür genauer an, an der ich mich geschnitten hatte.
„Das Blut hier ist nicht von dir, Mike. Das ist älter.“ Er zog einen Kugelschreiber aus
der Tasche am Oberarm und zeigte damit auf eine Stelle an der Türkante, ungefähr in Brusthöhe. „Das hier ist trockenes Blut auf altem Rost. Irgendwie hast du geahnt, wo du suchen musst.“
Ich zog es vor, nicht zu antworten, und hielt die Hand so, dass mein Blut auf den Boden tropfte. „Hier ist noch mehr“, sagte ich dann. „Hier auf dem Boden, gleich am Türrahmen.“
„Und sieh dir das hier an.“ Er stand vor einem alten Schrank, es war ein ausgedienter Wohnzimmerschrank mit staubigen Glasscheiben, Kratzern und Farbflecken. Eine Tür des Schrankes stand halb offen. Schutkow stieß sie mit dem Fuß ganz auf, sie klappte mit einem Poltern an das Regal daneben.
„Was ist denn hier für ein Krach?“ Monika war mit ein paar Papiertüchern von der
Küchenrolle und einem Paket Pflaster wieder da.
Sie faltete eines der Papiertücher und drückte es auf den Schnitt. Sofort färbte sich das Papier rot. „Das geht tief“, meinte sie. Dann sagte sie, deutlich leiser und nur für mich bestimmt „War da wirklich ein Fremder in meinem Haus, in meinem Schlafzimmer? Mike, was ist, wenn der zurückkommt? Ich bin doch ganz alleine und laut schreien kann ich nicht mehr.“
Rasch legte ich ihr die andere Hand auf den Unterarm. „Der kommt nicht wieder, der hat ja schon alles mitgenommen. Und das kriegst du bestimmt wieder, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind. Auch Karls Ring.“
Dankbar drückte sie meine Hand.
„Was wird denn in diesem Schrank aufbewahrt?“, meldete sich unser Polizist aus dem Hintergrund.
„Das ist alles Karl sein Kram. Lack und Zündkerzen und anderes Zeugs von seiner
Simmi. Die hatte er aber längst verkauft.“
Tatsächlich standen da noch mehrere Dosen Leifalit-Lack im Schrank, unverkennbar in hellblau mit dem roten Karo. An Sheriff Schutkow vorbei sah ich, dass ein Fach des Schrankes leer war. Spuren im Staub zeigten, dass hier etwas gelegen hatte und entfernt worden war.
Wieder brummte mein Handy. Wieder eine SMS von Jan. „ruf an!“
Ich tat ihm den Gefallen. „Bist du heute der Telefonjoker?“
Sein Grinsen konnte ich hören.
„Habe ein neues Bild von der Wildkamera. Jetzt haben wir ihn!“

Verlag Weberhof
Siebo Woydt
Kleine Seestrasse 1
18279 Lalendorf OT Langhagen
01573-8998098
siebo.woydt@outlook.de

…wie die Geschichte weiter geht, erfahren Sie nächsten Freitag!

Der Beitrag steht unter Einhaltung der Bildrechte von Dritten zur freien Verfügung.